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Mit einem Impfstoff dämmten Mediziner die Ebola-Seuche im Kongo ein. Ihr jahrelanger Kampf zeigt, warum es so schwer sein wird, Corona zu besiegen.
DIE RETTUNG IM STICKSTOFFTANK
Juli 2020, Hamburg, Deutschland
Manchmal liegen ein Sieg und der nächste Kampf nur wenige Zentimeter voneinander entfernt: In einem Stickstofftank in Hamburg-Eppendorf lagern bei minus 170 Grad Blutproben; einige von Ebola-Impfstoff-Probanden, andere von Covid-19-Patienten. Im zweiten Stock des Tropenmedizinischen Instituts arbeiten Forscher unter Hochdruck daran, zwei der gefährlichsten Viren der Welt mit Impfstoffen zu besiegen.
Die Frau, die diesen Kampf in Hamburg anführt, ist Marylyn Addo. Die Oberärztin und Leiterin der Infektiologie des Universitätsklinikums trägt ihre schwarzen Locken hochgesteckt und ihren Arztkittel beim Gespräch offen. Zehn Covid-19-Patienten liegen gerade auf Station, die Labore arbeiten im „Overdrive“, wie Addo sagt. Die 50-Jährige redet so schnell, als hätte sie keine Zeit zu verlieren. Gleichzeitig erklärt sie, warum alles gerade nicht schneller geht. „Für die erste Welle in Deutschland kommt der Impfstoff zu spät. Aber das haben wir auch bei Ebola gesehen. Der Impfstoff hat erst beim nächsten großen Ausbruch im Nordosten des Kongo Tausenden Menschen das Leben gerettet.“
Was Addo meint: Ihre Arbeit ist kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf. Für sie begann er 2014 mit den ersten Impfstoff-Tests, damals wütete in Westafrika die weltweit größte Ebola-Epidemie. Sechs Jahre später, während sich Corona auf der Welt ausbreitet, ist gerade die zweitgrößte Ebola-Epidemie aller Zeiten in einer der gefährlichsten Regionen der Welt zu Ende gegangen. Auch dank des Impfstoffs, an dem Addo mitforschte.
Unter dem Elektronenmikroskop sehen beide Viren unterschiedlich aus: Ebola fadenförmig, Corona stachlig. Verglichen mit Corona ist Ebola weniger ansteckend, doch die Sterblichkeit liegt viel höher. Und trotzdem: Viele Mechanismen der Impfstoff-Entwicklung ähneln sich. Wer verstehen will, warum Staaten und die internationale Forschungsgemeinschaft so schnell auf die Corona-Pandemie reagieren konnten, der muss sich Ebola anschauen, das Virus, auf das die Menschheit viel zu spät reagierte. Die Geschichte des Ebola-Impfstoffs verdeutlicht, was die Gesellschaft jetzt auch bei Corona erlebt: Viele Menschen müssen sterben, bevor anderen geholfen werden kann.
DIE IMPFUNG IM KRISENGEBIET
August 2019, Mahohe, Provinz Nord-Kivu, Demokratische Republik Kongo
Inmitten von Ananasfeldern und Guavenbäumen liegt aufgeschüttet Erde, in ihr steckt ein Holzkreuz, R. I. P. steht dort geschrieben. Ein Junge, sein Name war Kitehi, erst acht Jahre alt, verstorben am 18. August 2019. Sein Grab liegt am Rande der Hauptstraße N2, welche zwei Städte der kongolesischen Provinz Nord-Kivu verbindet, dort, wo Händlerinnen Ananas durch die Fenster der Autos verkaufen. Roter Staub legt sich auf ihre Kleider, wenn Lkws und die weißen UN-Panzerfahrzeuge der Blauhelmsoldaten wie jeden Tag vorbeirollen. Der Ostkongo gilt als einer der reichsten und zugleich ärmsten Flecken der Welt. Die Schätze des Bodens – Coltan, Diamanten und Gold – sind für einige ein Segen, für die meisten Bewohner aber ein Fluch, denn sie locken Firmen und Menschen an, die das Land ausbeuten.
Drei Tage nach Kitehis Tod bauen Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor dem poste de santé, einer Art Außenposten des Gesundheitszentrums, einen Impfstand auf. Vor dem Lehmhaus, in dem die Anwohner Schmerztabletten gegen Fieber oder Bauchschmerzen bekommen, lagern jetzt in einer gelben Kühlbox die Ampullen gegen das tödliche Virus. Geimpft werden sollen nur diejenigen, die direkten Kontakt mit dem Kind hatten; danach die Kontakte der Kontakte. Die Ringimpfung soll das Virus einkreisen. Mehr als 303 000 Menschen wurden bislang nach dieser Strategie geimpft.
Philomène Kiryandomo, 31, eine der Ananasverkäuferinnen, Mutter von vier Kindern, Nachbarin des verstorbenen Kitehi, bekommt an diesem Tag einen halben Milliliter Flüssigkeit in ihren Arm gespritzt. Kiryandomo ist eine resolute Frau. Sie weiß eigentlich: Kranke wie den Nachbarsjungen soll man meiden. Sie auf keinen Fall berühren. Sich auf jeden Fall die Hände waschen. Trotzdem betrat sie das Lehmhaus, wo der Junge im Sterben lag. „Hier muss man sich eben verabschieden“, sagt sie.
Viren sind Spielverderber der Zwischenmenschlichkeit: Sich zu umarmen, seine Angehörigen zu pflegen und den Toten die letzte Ehre zu erweisen – all das, was Beziehungen ausmacht, wird zu einem Infektionsrisiko. Als Kiryandomo Abschied nahm, wimmelte der kleine Körper von Kitehi vor Viren, die darauf warteten, sich in einem neuen Menschen, einem neuen Wirt, weiter zu vermehren. Zu keinem Zeitpunkt ist ein Ebola-Infizierter ansteckender als vor seinem Tod. Auch wenn sich das Virus nicht über Aerosole überträgt wie Corona: Wer einen Kranken berührt und sich danach etwa an der Nase kratzt, riskiert, sich über die Schleimhäute anzustecken.
Kurz nach der Impfung fühlt sich Philomène Kiryandomo so elend wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Im Distrikt-Krankenhaus, einem blau-weiß gestrichenen Gebäude, kritzelt ein Mitarbeiter ihre Beschwerden ins Register: Fieber, Durchfall, Kopfschmerzen – die typischen Symptome des Ebolavirus. Der Impfstoff wirkt oft erst nach zehn Tagen. Kiryandomo war vermutlich bereits infiziert. Ein Krankentransport fährt sie in eines der Ebola-Behandlungszentren, etwa anderthalb Stunden entfernt. Für ihre Familie und ihre Nachbarn steht dieser Ort nicht für Heilung. Ihr Vater sagt: „Das ist ein Ort zum Sterben.“
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Text: Fiona Weber-Steinhaus
Fotos: Jonas Wresch / Agentur Focus
Erschienen im
GEO Magazin 10/2020
Stern Magazin #30 Juli 2020